Geschichte der Schule

Die Binger Gymnasialtradition reicht zurück bis ins Jahr 1006; für dieses Jahr ist erstmals das vermutlich durch den Mainzer Erzbischof Willigis (975-1011) gegründete Binger Martinsstift belegt, dem eine Stiftschule angegliedert wurde. Das Martinsstift bestand zu diesem Zeitpunkt aus zwölf Geistlichen und einem Propst, der zugleich Angehöriger des Mainzer Domkapitels sein sollte; seine Aufgabe war der Ausbau der Pfarrorganisation im Umfeld in Bingen. An der dem Stift angegliederten Schule wurden über 600 Jahre lang die Fächer unterrichtet, die der Vorbereitung zum Priesterberuf dienten, insbesondere Latein.

Nach dem Niedergang des Stiftes im Verlauf des 16. Jahrhunderts kam es am 4. November 1655 durch den neuen Stadtpfarrer an der Binger Basilika, Bartholomäus Holzhauser, zur Neugründung einer zunächst dreiklassigen Lateinschule, die bald auf fünf Klassen erweitert wurde. Sie diente neben der Vorbereitung auf Priesterberufe auch der Heranbildung von staatlichen Beamten und trug dem Bildungsbedürfnis der höheren Stände Rechnung.

Es wird berichtet, dass das Ansehen dieser Lateinschule so groß war, dass ihre Absolventen ohne eine weitere Zulassungsprüfung an der Mainzer Universität zugelassen wurden. „Bingiensis est – sufficit“ (Er ist Binger – das genügt!) ist als Immatrikulationsformel überliefert.

In Napoleonischer Zeit, in der Bingen von 1798 bis 1814 zu Frankreich gehörte, wurde diese Schule in ein Collège mit Latein und Französisch als Fremdsprachen umgewandelt, das jedoch nicht lange bestand. In der Folge gab es in Bingen nur eine Elementarschule, also eine Art Grundschule, in der man einen Volksschulabschluss erwerben konnte.

Zwischen 1815 und 1835 verdoppelte sich die Einwohnerzahl Bingens nahezu auf ca. 10.000 und 1835 wurde Bingen überdies noch Kreisstadt, sodass in der selbstbewussten und auf Unabhängigkeit bedachten Binger Bürgerschaft der Wunsch nach einer eigenen „höheren Schule“ immer drängender wurde. Im Jahr 1836 wandten sich daher 300 Binger Bürger an den damaligen Landesherrn, Großherzog Ludwig II. von Hessen-Darmstadt, und beantragten, der bestehenden Elementarschule eine „Realschule“ anzugliedern; in den am Beginn des 19. Jahrhunderts sich rasch wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen wollte man in Bingen eine Schule, die den „Realien“, also den Anforderungen des praktischen Lebens und der Naturwissenschaften gerecht werden sollte. Besonders dem Gewerbe- und Handelsstand sollte nach dem Willen der Antragssteller so die geeignete Bildung vermittelt werden.

Nach langen und heftigen bildungspolitischen Auseinandersetzungen gab der Großherzog dem Ansinnen der Bingen Bürger nach und so wurde am 27. Februar 1839 durch die Hessische Oberschulbehörde die selbstständige „Großherzogliche Realschule Bingen“ gegründet, zu deren erstem Schulleiter der Binger Pfarrer Leonhard Arzberger ernannt wurde.

Der Unterricht startete mit 22 Schülern, im Laufe des ersten Schuljahres kamen jedoch weitere 30 Schüler hinzu, sodass eine zweite Klasse gebildet werden musste. Die Schülerschaft wuchs schnell und schon bald wurden die Schüler nicht ausschließlich in den damals modernen Fächern, den Naturwissenschaften, unterrichtet, sondern mit Latein- und zeitweise Griechischunterricht wurde auch die altsprachliche Tradition wieder aufgenommen. Der 27. Februar 1839 gilt daher auch als Gründungsdatum des Stefan-George-Gymnasiums, das eine direkte Nachfolgeschule der Großherzoglichen Realschule ist. Sowohl die altsprachliche als auch die naturwissenschaftliche Tradition spiegeln sich heute noch in diesen beiden wichtigen Schwerpunkten des Stefan-George-Gymnasiums wider.

Die ersten Jahre dürften noch von Konflikten rund um die neu gegründete Schule geprägt gewesen sein, so dass sich der erste Schulleiter Leonhard Arzberger schon nach einem Jahr entschied, wieder in eine Pfarrstelle zurückzukehren. Der zweite Schulleiter, Eduard Gottlieb Ernst Sander wurde dann die prägende Instanz für die Binger Realschule und übte sein Amt über 22 Jahre bis zu seinem Tod aus. Den Vorstoß in die gymnasiale Oberstufe konnten die Binger an der mittlerweile knapp 300 Schüler umfassenden Schule 1893 unter ihrem Schulleiter Dr. Theodor Walter feiern, als ein „progymnasialer Zweig“ eröffnet wurde, der der heutigen 11. Klasse entspricht.

In der Folge wurde das alte Schulgebäude, das heutige Ämterhaus, zu klein und über einige Jahre hinweg kämpften die Binger für einen Neubau. Nach nur einjähriger Bauzeit erfolgte im Oktober 1909 der Umzug in das eigene Haus an der Schlossbergstraße, dem heutigen Altbau.

Den letzten Schritt in der Entwicklung zu einem Vollgymnasium wurde zu Beginn der Weimarer Republik 1921 durch die Einführung der gymnasialen Oberstufe beschritten; das erste Abitur wurde im März 1922 abgelegt. Die Schule bestand nun aus einem humanistischen Gymnasium mit integrierter Realschule.

Die Zeit des Nationalsozialismus führte im Frühjahr 1937 im Zuge der Gleichschaltung zu einer Vereinheitlichung des gesamten Schulwesens; die Gymnasien wurden alle in „Oberschulen“ umbenannt, die Schulzeit auf 12 Jahre gekürzt, die Koedukation wurde aufgehoben, der Weg zum Abitur stand nun nur noch Jungen offen. In diesem Zusammenhang wurde auch das Binger Gymnasium in eine 8-jährige Oberschule für Jungen mit erster Fremdsprache Englisch und zweiter Fremdsprache Latein umgebaut; ab der 6. Klasse (heute Klasse 10) bestand die Trennung in einen sprachlichen Zweig mit Französisch als dritter Fremdsprache und in einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig. Die Schülerzahl lag um 300.

Als nach Kriegsende das Schulwesen wiederum neu geordnet wurde, kam es im Sommer 1945 durch den Einsatz von Dr. Lotz, dem ersten Schulleiter der Nachkriegszeit und später auch erstem Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz, zur Bildung eines Gymnasiums mit einem altsprachlichen und einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig.

Als Namenspatron des Gymnasiums wählte man den in Bingen-Büdesheim geborenen Stefan George aus, der mit seinen Dichtungen und Kontakten zu berühmten Persönlichkeiten wie den Brüdern von Stauffenberg populär geworden war. Stefan George hatte von 1876 bis 1882 in Bingen die Realschule und das Progymnasium besucht, bevor er dann am Ludwig-Georgs-Gymnasium in der Residenz- und Landeshauptstadt Darmstadt seine Gymnasialbildung abschloss.

Mit der Neugründung wurden auch wieder Mädchen zugelassen, waren jedoch zunächst rar; im Schuljahr 1948/49 meldeten sich erst fünf an, doch ihre Zahl nahm rasch zu, wie auch die gesamte Schülerzahl.

Nach Beseitigung der Kriegsschäden wurde es in dem Gebäude von 1906 bald eng; ab 1964 waren drei Oberstufenklassen mehrere Jahre hindurch in der inzwischen neu erbauten Hauptschule Bingen untergebracht. 1967 erstellte der Schulträger auf dem Gelände des heutigen Fachklassentraktes vier Schulpavillons für je zwei Klassen. Erst jetzt führten die dringlichen Eingaben des damaligen Schulleiters, Dr. Robert Wolff (Schulleiter 1963-1985), zum Erfolg. Unter großen Schwierigkeiten entstanden die Neubauten, die mit dem Schuljahr 1972/73 eingeweiht werden konnten und in denen nicht nur das Stefan-George-Gymnasium, sondern auch die 1962 gegründete Rochus-Realschule und die Rupertus-Hauptschule in einem „Schulzentrum“ beherbergt wurden. Der Altbau wurde zwischen dem Gymnasium und der Realschule geteilt.

Im Schuljahr 1975/76 erreichte die Schule vorübergehend ihre höchste Schülerzahl mit 1241 Schülern, für die der neu errichtete Raum kaum ausreichte. Erst im Schuljahr 2007/08 sollte die Zahl wieder übertroffen werden. Die Raumenge blieb jedoch und fand erst eine Entlastung, als die Rochus-Realschule im Jahr 2000 in einen Neubau nach Bingen-Büdesheim umzog. Nun verfügte das Stefan-George-Gymnasium neben dem gesamten Altbau über den Haupttrakt, den Naturwissenschaftlichen Trakt und den Kunst-Trakt, dem Turnhallenbau sowie ein weitgestrecktes Areal mit fünf Schulhöfen.

Eine Initiative aus Schulleitung, Lehrer, Schülern und Eltern entwickelte am Beginn der 90er Jahre den Plan, den traditionellen Hausmeisterverkauf am Stefan-George-Gymnasium durch eine Schulcafeteria in Trägerschaft eines Schulvereins abzulösen, die im Januar 1993 mit einer kleinen Feier im Altbau eröffnet wurde. Schnell wurde die vorwiegend durch Mütter geführte und durch den Lehrer Egon Goldschmidt koordinierte Cafeteria zu einem nicht wegzudenkenden Herzstück der Schule. Durch den Umzug in den K-Trakt 2001 wurden die räumlichen Gegebenheiten deutlich verbessert.

Es gibt seit den 90er Jahren einen musikalischen Schwerpunkt mit einer Orchesterklasse ab der Jahrgangsstufe 7, mit dem naturwissenschaftlichen Schwerpunkt der andere Traditionsstrang der Schule wiederbelebt, der sich in verstärktem naturwissenschaftlichem Unterricht in der Mittelstufe ausdrückt.

Mit dem Schuljahr 2003/04 wurde das Stefan-George-Gymnasium Pilotschule zur Entwicklung des Latein-Plus-Modells für das Land Rheinland-Pfalz (Latein als 1. Fremdsprache und Englisch ab 2. Fremdsprache in Kl. 5, als dritte verpflichtende Fremdsprache wahlweise Altgriechisch oder Französisch), mit dem die Schule an ihre altsprachliche Tradition anknüpfte. Mit dem Schuljahr 2018/19 wurde dieses Konzept mit einer Sondergenehmigung des Bildungsministeriums modifiziert, indem die verpflichtende dritte Fremdsprache in eine freiwillige umgewandelt wurde. Diese Profilklasse firmiert seitdem als „Latein 1 Plus“.

Die jüngste Veränderung war die Weiterentwicklung zu einer Ganztagsschule in Angebotsform zum Schuljahr 2013/14 mit rhythmisierten Ganztagsklassen in den Jahrgangsstufen 5 und 6 sowie einer jahrgangsübergreifenden Ganztagsgruppe der Jahrgänge 5-7. Im Januar 2017 konnte der Betrieb einer neuerrichteten Mensa aufgenommen werden.

Im Jahr 2007 wurde das von der Kunstlehrerin Miriam Jung entwickelte neue Corporate Design mit dem George-Kopf und dem Leitspruch „Wir machen Schule“ eingeführt. In dem Leitspruch drückt sich – ebenso wie im aktuellen Leitbild unserer Schule – der Wille zur Zusammenarbeit und Kooperation aller am Schulleben Beteiligter aus – nicht ein Einzelner „macht Schule“, sondern alle gemeinsam, mit einem gemeinsamen Ziel. Betont wird die Wichtigkeit, sich gegenseitig zu achten, sich füreinander und für den Lebensraum Schule, mit dem sich alle identifizieren können sollen, einzusetzen. Ein intensiver Austausch zwischen Lehrer/innen, Schüler/innen und Eltern wird angestrebt – dabei fühlen wir uns nicht zuletzt dem Umstand verpflichtet, dass es im 19. Jahrhundert die Binger Bürgerschaft war, die für die Einrichtung der Schule gekämpft hat. Die lange traditionsreiche Geschichte unserer Schule, die unterschiedlichen, sich bereichernden Schwerpunkte und das mit den Jahren entstandene ehrgeizige Schulprogramm sehen wir als Auftrag und Chance, unser Stefan-George-Gymnasium stetig weiterzuentwickeln und den Lebensraum Schule bewusst gemeinsam zu gestalten.

Text: Dr. Florian Lamke (unter Verwendung zahlreicher Vorarbeiten)

Historie der Schulleiterinnen und Schulleiter

Großherzogliche Realschule zu Bingen

1839-1840Leonhard Arzberger
1841-1873Eduard Gottlieb Ernst Sander
1874-1879Prof. Dr. Ludwig Glaser
1879-1889Dr. Otto Schneider

Großherzogliche Realschule und (Pro-)Gymnasium zu Bingen – ab 1937: Oberschule für Jungen

1889-1900Dr. Theodor Walter
1900-1905Dr. Franz Joseph Helm
1905-1916Dr. Karl Denig
1916-1923Dr. Johann Baptist Seidenberger
1924-1926Anton Lucas
1926-1934Prof. Johannes Adler
1934-1945Dr. Karl Listmann

Staatliches Stefan-George-Gymnasium Bingen

1945-1948Dr. Ernst Lotz
1948-1952Dr. Heinrich Hahn
1952-1961Eugen Ochsenreither
1961-1963Alfons Hilgers
1963-1985Dr. Robert Wolff
1985-2003Dr. Helga Offermanns
2003-2010Reiner Oschewsky
2010-2020Renate Seipel
seit 2020Andreas Kühn